Leitung beginnen

Leitlinie

Die gerippten Linien und genoppten Platten, die man an Bahnsteigen findet dienen in erster Linie nicht als Warnung vor Gleisen für sehende Menschen, sondern als Leitsysteme zur Orientierung für blinde Menschen. Man findet sie an Bahnhöfen, Straßenübergängen und Treppen im öffentlichen Raum, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Blinde Menschen erkennen die ertastbaren Muster des Systems in dem sie mit ihrem Blindenstock darüber gleiten. Dabei gelten die länglichen Rippenmuster als Richtungs- und Leitlinien und weisen auf eine barrierefreie Route hin. Die genoppten, größeren Felder warnen vor Gefahrenzonen wie zum Beispiel Straßenkreuzungen oder weisen auf einen Richtungswechsel und Abzweigungen der Leitlinien hin.

Nutzergruppe

Wir haben uns mit blinden Menschen auseinandergesetzt, die diese Leitsysteme nutzen. Das sind meist Menschen, die einen Blindenstock als Hilfsmittel nutzen. Dafür haben sie ein Orientierungs- und Mobilitätstraining abgeschlossen, in dem sie gelernt haben, mit ihrem Blindenstock umzugehen und Bodenleitsysteme richtig zu deuten und zu nutzen.
Trotz vieler Hilfsmittel fühlen sich blinde Menschen an unbekannten Orten oft unsicher und meiden es, außerhalb ihrer bekannten Umgebung unterwegs zu sein. Sie wollen sich dem Unbekannten nicht ohne Sicherheit stellen. Dabei sollen Apps und andere nützliche Technologien helfen. Doch unter den vielen technisch versierten Blinden gibt es auch solche, die sich mit dem Erlernen neuer Technik sehr schwer tun und sich deshalb lieber weiterhin auf ihren Blindenstock als einziges Hilfsmittel verlassen.

Problem

Das Prinzip der Leitlinien und Aufmerksamkeitsfelder ist sehr nützlich, dennoch weist es einige Probleme auf. Hierfür haben wir uns den Umstiegsprozess vom Zug am Bahngleis zum Bus am Busbahnhof angeschaut. Dabei ist das erste Problem, dass blinde Personen nach dem Ausstieg zum Gleis an einem ihnen unbekannten Bahnhof zwar einen für sie markierten Weg erkennen, die Information über die richtige Richtung zu ihrem Ziel ist darin aber nicht enthalten. Finden sie dann trotzdem den richtigen Weg, stoßen sie spätestens am Ausgang des Bahnhofs auf das nächste Problem: Das Leitsystem endet und beginnt erst an den einzelnen Bussteigen des Busbahnhofes wieder.
Diese Lücken in den Bodenleitsystemen entstehen, weil es für die verschiedenen Bereiche an Mobilitätsknotenpunkten verschiedene Verantwortliche gibt, wie die Stadt, Verkehrsunternehmen, Straßenbaulastträger und das Ministerium für Verkehr.

Sie sind immer nur für die Barrierefreiheit in einem bestimmten Bereich verantwortlich, die Wege dazwischen werden vernachlässigt. Die verschiedenen verantwortlichen Parteien müssten also zusammenarbeiten, um nahtlos barrierefreie Wegeketten im öffentlichen Raum des ÖPNVs zu schaffen.
Für blinde Menschen bedeutet das, auf die Weganweisungen von Passanten angewiesen zu sein. Sie erhalten keine sichere Leitung durch das hohe Verkehrsaufkommen an Mobilitätsknotenpunkten und werden nicht vor Gefahren wie beispielsweise Baustellen oder anderen größeren Hindernissen gewarnt.

Lösung

Unser Ziel in diesem Projekt war es, eine Möglichkeit zu finden, die Lücken im Leitsystem zu schließen und die Nutzenden sicher und barrierefrei zu ihrer entsprechenden Haltestelle zu leiten.

Um im Gegensatz zu gängigen technischen Hilfsmitteln, den Hörsinn unserer Nutzenden nicht zusätzlich zu beanspruchen, haben wir uns für die Kommunikation über den Tastsinn entschieden.
Wir haben also einen Aufsatz für den Blindenstock konzipiert, der über Vibrationssignale Leitlinien und Aufmerksamkeitsfelder simuliert und so die nutzende Person durch ihren individuellen Umstiegsweg leitet. Von außen sieht der Aufsatz sehr schlicht und wie ein "normaler" Blindenstockgriff aus, um unseren Nutzenden nicht den Eindruck zu vermitteln, ein technisches, komplexes Gerät bedienen zu müssen.
Wir setzen unser simuliertes Feedback an derselben Stelle an, an der die Nutzenden auch physische Leitlinien fühlen: An der Hand, die die Schnittstelle der Person und ihrem Hilfsmittel darstellt. Durch das mit dem Blindenstock erfassbare virtuelle Leitliniensystem erweitern wir ein den Nutzenden schon bekanntes mentales Modell, welches zur leichten Erlernbarkeit der Anwendung beitragen soll.

Technik

Um unsere Nutzenden navigieren zu können, müssen die bereits vorhandenen Leitsysteme an Mobilitätszentren in eine Karte auf unserer Plattform eingetragen werden. Dadurch werden Lücken ersichtlich, in denen wir dann unsere virtuellen Leitsysteme ergänzen können.

Um unsere Nutzenden an ihr Ziel leiten zu können, muss die Position der Spitze des Blindenstockes zentimeter-genau erfasst werden und mit der gemappten Leitlinie abgeglichen werden. Dafür eignen sich Ultra-Wide-Band-Transmittermodule wegen ihrer schnellen Datenübertragung und präzisen Positionsbestimmung. Diese senden jedes Mal, wenn die Person mit dem Blindenstock über die virtuelle Leitlinie gleitet, ein Signal an den Griff und lösen so die Leitlinienvibration aus.
Zwischen der Positionserfassung und dem Senden des Vibrationssignals wird die erfasste Position an unseren Anwendungsserver gesendet und mit den Koordinaten der berechneten Route in unserer Datenbank abgeglichen. Diese Datenbank enthält detaillierte Karten der Knotenpunkte, bereits vorhandene Leitsysteme und Hindernispositionen. Wenn die nutzende Person eine Verbindung zu einem Verkehrsmittel als Ziel eingibt, kommuniziert unser Anwendungsserver mit der entsprechenden API des ÖPNVs, um anschließend den effizientesten und sicheren Weg zum Anschlussfahrzeug aus der Datenbank zu beziehen.
Als nächstes benötigen wir die genaue Position der Hindernisse. Dafür müssen wir mit den jeweiligen Verantwortlichen wie der Stadt, den Bauämter und den Verkehrsgesellschaften zusammenarbeiten, um laufend über Änderungen informiert zu werden.

Skalierbarkeit

Im Laufe des Projektes haben wir erkannt, dass unser Lösungsansatz theoretisch auf den gesamten öffentlichen Raum bis in private Räume skalierbar ist. Mit der geeigneten Technik und der Bereitschaft der verantwortlichen Aufgabenträger an den jeweiligen Orten, können diese Leitliniensysteme zu einem großen Mehrwert der Orientierung und Autonomie unserer Nutzergruppe beitragen.

Das Team

Marie Backhaus

Kevin Liu

Julia Podlipensky

Afeni Sodatonou